Das Bundesinnenministerium hat die als "Stammbaumforschung" kritisierten Ermittlungen der Polizei nach den Stuttgarter Krawallen gegen Kritik verteidigt. Es sei ein "polizeiliches Standardvorgehen", dass auch das soziologische Umfeld von Tätern miteinbezogen werde, sagte Ministeriumssprecher Steve Alter am Montag in Berlin. "Das schließt selbstverständlich auch die Eltern mit ein" - und auch den "Aspekt des Migrationshintergrunds".
Zurückhaltender äußerte sich das Bundesjustizministerium. Es seien keine wissenschaftlichen Studien bekannt, "die einen Zusammenhang der Nationalität der Eltern zu irgendwelchen Taten von Kindern nahelegen", sagte eine Sprecherin. Kritiker hatten das Vorgehen der Stuttgarter Polizei zuvor als vorurteilsbehaftet und rassistisch bemängelt.
Das Bundesinnenministerium rechtfertigte das Vorgehen der Stuttgarter Polizei uneingeschränkt. Ein Gewaltexzess in dieser Form sei bisher unbekannt gewesen, sagte der Sprecher. "Die Stuttgarter Polizei forscht diesen Sachverhalt unter allen Perspektiven aus", fügte er hinzu.
Es gehe darum, die festgestellten Straftaten zur Anzeige zu bringen und dieses neue kriminelle Phänomen zu untersuchen, um Strategien zur Prävention zu ermitteln. Die Frage der Prävention sei insbesondere deswegen wichtig, weil viele der Täter Jugendliche seien.
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, der Begriff der "Stammbaumforschung" verbiete sich in dem Zusammenhang. "Das ist ein historisch belastetes Wort." Die Bundesregierung gehe davon aus, dass die baden-württembergischen Behörden die nötigen Ermittlungsarbeiten nach den Grundsätzen von Recht und Gesetz durchführten.
Die Stuttgarter Polizei hatte am Sonntag eingeräumt, dass nach den Stuttgarter Krawallen in einzelnen Fällen die Nationalität der Eltern ermittelt werde, um einen möglichen Migrationshintergrund zu klären. Dies als "Stammbaumforschung" zu bezeichnen, sei aber nicht korrekt.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) rief am Montag zu "verbalem Abrüsten" auf. Eine "Stammbaumforschung" finde nicht statt, erklärte er. "Die Feststellung der Lebens- und Familienverhältnisse kann ein Teil der polizeilichen Ermittlungen sein", erklärte Strobl. Dabei werde allenfalls die Nationalität der Eltern - "nicht der Großeltern und schon gar nicht die der Urgroßeltern" - erhoben.
Das Vorgehen der Stuttgarter Polizei war auf breite Kritik gestoßen. "Es gibt überhaupt keine für mich verständliche Erklärung für ein solches Vorgehen", sagte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) der "Süddeutschen Zeitung". "Es ist nicht Aufgabe der Polizei, in Stammbäumen zu recherchieren."
Grünen-Chef Robert Habeck sagte dem Berliner "Tagesspiegel" vom Montag, es sei zwar wichtig, die Hintergründe der Stuttgarter Krawalle zu ermitteln. Eine "Stammbaumrecherche" sei aber "in keinster Weise akzeptabel".
Der Vorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerkes Deutschland; "Stammbaumforschung ist Rassismus pur und ein Skandal, der umgehend gestoppt werden muss."
In der Nacht zum 21. Juni hatten schwere Krawalle in Stuttgart bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Hunderte Menschen randalierten damals in der Innenstadt und griffen Polizisten an. Die Einsatzkräfte wurden mit Flaschen und Steinen beworfen, etliche Geschäfte wurden geplündert. Die Polizei machte nach ihren Angaben vom Sonntag 39 Tatverdächtige aus. Gegen 20 Verdächtige sei Haftbefehl erlassen worden, 14 davon seien "in Vollzug".AFP, foto-Roger Kreja, Stuttgart, Wikimedia.